Fr. 340’000 Entschädigung für angeblich nur ideelle Immissionen einer Höchstspannungsleitung. Ein Urteil des Bundes-Verwaltungsgerichts lässt hoffen, dass dieser blödsinnige juristische Begriff endlich verschwindet.
Von Hans-U. Jakob (Gigaherz.ch)
Schwarzenburg, 27.11.2019
Das Baujahr der 230kV-Höchstspannungsleitung von Niederwil nach Obfelden im Kanton Aargau war 1953. Der
Durchleitungsvertrag mit der Familie, über deren Grund die Leitung
hinwegführt, war bis zum Jahr 2001 befristet. Der Landerwerber der
Leitungsbetreiber bot für die Verlängerung des Vertrags um weitere 30
Jahre eine Entschädigung von Fr. 2800.- an.
Im Jahr 2000 wurde in der Schweiz der Grenzwert für niederfrequente
Magnetfelder für neue Leitungen von 100 auf 1 Mikrotesla gesenkt. Dies
als Folge stark gestiegener Anzahl von Kinderleukämie-Fällen entlang
solcher Leitungen. Das Leukämie-Risiko für Kinder war bereits bei
0.3Mikrotesla um das 3 bis 4-Fache angestiegen.
Für Leitungen, die vor Februar 2000 erstellt wurden, sollte weiterhin ein Grenzwert von 100Mikrotesla gelten.(!)
Das liess sich die betroffene Famile nicht bieten und legte gegen die
zwangsweise Vertragsverlängerung für weitere 30 Jahre, Beschwerde ein.
Weil ein Haus mit einer Magnetfeldbelastung von 7-10 Mikrotesla heute
nicht mehr verkäuflich ist, wollte sie mindestens den Minderwert Ihrer
Liegenschaft entschädigt haben.
Bild oben: Stimmungsbild aus Niederwil AG
Nach einem langen Gang durch die Instanzen entschied
das Bundes-Verwaltungsgericht im September 2017, «alles nur Einbildung»
und senkte die Entschädigung für weitere 30 Jahre sogar auf Fr. 553.(!)
Unterdessen hatten spitzfindige Konzernjuristen nämlich den Begriff von
den ideellen Immissionen, sprich psychologischen, oder im Klartext
eingebildeten Immissionen erfunden, welchen sich die Gerichte landesweit
anschlossen.
Im November 2011 fand das Bundesgericht, zweierlei Recht entlang von Höchstspannungsleitungen werde nicht mehr länger
geduldet. (Fall Hohle Gasse Küsnacht) Ideelle Immissionen hin oder her:
Bei Sanierungen oder Änderungen alter Leitungen würde fortan auch 1
Mikrotesla gelten.
Worauf die Lobbyisten der Stromgiganten in den Eidg. Räten in den
Gesetzen und Verordnungen die Definition einer Sanierung oder Änderung
dermassen neu zu definieren begannen, dass das Bundesgerichturteil vom
November 2011 praktisch vollständig ausgehebelt wurde. So sollte zum
Beispiel eine Änderung einer alten Leitung nur als Änderung gelten, wenn
die Stromleiter zwischen den Masten etwas tiefer herunterhingen als vor
der Änderung. Und noch weiteren solchen Juristenquatsch.
Die betroffene Familie liess sich auch dadurch nicht entmutigen und zog das niederschmetternde Urteil des Bundes-Verwaltungsgerichts an das Bundesgericht in Lausanne weiter. Dieses wies den Fall wegen beträchtlicher Fehler zur Neubeurteilung an die Vorinstanzen zurück. In der Folge legte die Eidg. Schätzungskommission die Entschädigung neu auf Fr. 12’826 fest. Auch damit konnte sich die betroffene Familie nicht zufrieden geben und focht den Entscheid der Eidg. Schätzungskommission nochmals beim Bundes-Verwaltungsgericht an.
Und siehe da, dieser Tage wurde der betroffenen Familie nun
vom Bundes-Verwaltungsgericht neu eine Entschädigung von Fr. 340’000
zugesprochen.
Dies an Stelle der erstmals vom Landerwerber gebotenen Summe von Fr. 2800.-
Swissgrid, welche nun als Rechtsnachfolgerin der einstigen
Leitungseigentümer zur Kasse gebeten wird, zeigt sich ob dem Urteil
konsterniert. Wenn dieses Beispiel Schule macht, und es wird Schule
machen, kommen Forderungen in mehrstelliger Milliardenhöhe auf den
Stromgiganten zu. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird
Swissgrid deshalb in dieser Sache wiederum das Bundesgericht anrufen.
Swissgrid sollte sich jedoch überlegen ob es trotz den von ihren
Lobbyisten hinterlistig geänderten Gesetzen und Verordnungen nicht
rentabler wäre, Höchstspannungsleitungen fortan freiwillig in den Boden
zu verlegen. Die Mehrkosten betragen längst nicht mehr das 12-Fache, wie
die Lobbyisten immer noch posaunen, sondern sind dank neuer
Kabeltechnologien längstens auf das 4-Fache gefallen. Und die
Magnetfelder betragen bei einer Erdverlegungung nur noch gerade 10% von
denjenigen einer Freileitung.
Bild oben: Magnetfeld einer 2-Strängigen Höchstspannungsleitung bei einem Strom von 2000Ampère.
Wir warten hier gespannt auf die Fortsetzung der Geschichte. Wenn das Bundesgricht die vom Bundes-Verwaltungsgericht gesprochene Entschädigung von Fr. 340’000 bestätigt, sind die juristischen Begriffe wie «ideelle Immissionen» oder «alles nur Einbildung» endgültig vom Tisch.
Sehen Sie dazu auch https://www.gigaherz.ch/missratener-persilschein-fuer-hochspannungs-freileitungen/
Quelle: https://www.gigaherz.ch/