Die Hügel sind meistens grün im Kanton Bern. Ausgetrocknet aber, dürr und lebensfeindlich ist die Rechtspflege im Bereich der Mobilfunkantennen. So sieht die Praxis aus – erlebt und aufgezeichnet, anhand der jüngsten Projekte.
von André Masson
am 14.Februar 2018
Der Leiter der Fachstelle des Kantons hat einmal gesagt, er möchte seinen eigenen Namen im Schriftverkehr nicht lesen. Wir nennen ihn deshalb Mr. beco-X. Er arbeitet im beco, und auf der Seite https://www.kvu.ch/de/adressen/bern?id=391 liest man seinen echten Namen, ganz schnell nur, wir vergessen ihn sofort wieder. Mr. beco-X berät also die Gemeinden beim Bewilligungsverfahren von Mobilfunkantennen, auch den Regierungsstatthalter, beim Weiterzug dann auch die BVED (Bau-, Verkehr-, Energie-Direktion), und später beim Verwaltungsgericht kommt Mr. beco-X nochmals zum Zug. Die Gemeinden und Gerichte sind bezüglich der technischen Fragen an Mr. beco-X gebunden. Mr. beco-X darf im Falle des Weiterzuges mehrmals über seine eigenen Fehler befinden. Die Rekursinstanzen sind also nicht unabhängig, wie sie sollten. Erstmals beim Bundesgericht kommen andere Ansichten ins Spiel – bis dort wird es sehr teuer.
Da war die neue Salt-Antenne in Bützberg zu beurteilen, die voll ins Haus der Kinderspielgruppe strahlt, mit Winkeln 0.1° / 0° (Seite, Höhe), gesamte Dämpfung 0 dB. Wie üblich, sind Prognose-Werte von 4.97 V/m und 4.99 V/m errechnet worden. So haarscharf an der Grenze, dass der Versuch gewagt wurde: Kommt man da nicht auch darüber ?
Gesagt, getan. Alle Zahlen von Salt wurden exakt übernommen – aber gerechnet wurde die Distanz von der Antenne her, und nicht wie sonst immer ab dem zentralen Antennenmast. Es strahlt ja wirklich die Antenne, und nicht der zentrale Mast – ist doch logisch ? 50 cm geringere Distanz von der entscheidenden Antenne, und etwas mehr Distanz zu den beiden Rückwärts-Antennen, alles nach den Regeln der Kunst gerechnet und gut dokumentiert, ergibt: 5.0072 V/m beim zweitstärksten OMEN. Hurra, das darf also nicht bewilligt werden – denkt man.
Mr. beco-X weiss Rat: Er will zur Distanz jetzt auch noch die Mauerdicke bei der Kinderspielgruppe dazuzählen. Das ist frei erfunden, ein willkürlicher Bückling vor Salt. Die Mauerdicke ist den Behörden nicht bekannt, nichts davon steht in den Mess- und Rechenvorschriften. Wenn’s Fenster hat, ist beim Fenster zu rechnen, und mitten im offenen Fenster zu messen. Völlig willkürlich vergrössert Mr. X den gerechneten Wert und schätzt freihändig, so komme man sicher wieder unter die Limite. Die Rechnung macht er nicht.
Es wurde gefordert, auch im Garten der Spielgruppe zu rechnen, der tiefer liegt das Fenster, aber näher zur Antenne. Mr. X schätzt wieder freihändig, das gäbe sicher weniger – die Rechnung macht er nicht. Es wurde ausdrücklich gefordert: Es ist zu rechnen auf Rechnern und mit Programmen und Antennendiagrammen, die gänzlich unabhängig von Salt sind. Vielleicht kann der Kanton das gar nicht und er glaubt immer blind, was die Mobilfunker vorrechnen ? Beim OMEN mit dem höchsten Wert 4.99 V/m müssen die Antennendiagramme berücksichtigt werden, das geht freihändig nicht – deshalb wurde auch dort eine Neurechnung gefordert mit echten Distanzen von den Antennen her: auch das ist nie erfolgt. Drei Mal behauptet, nie gerechnet! Man tut nichts, was ev. die Grenzwerte verletzen könnte.
Es geht also alles zum Regierungsstatthalter Oberaargau in Wangen (= RSO), mit ganzem Briefverkehr. Er muss fast nichts tun als zu prüfen, ob die 5.00 V/m eingehalten sind oder nicht. Er weiss, dass es 5.0072 V/m gibt, er weiss auch, dass Mr. X das „noch nie so gemacht hat“. Resultat: Er geht nicht darauf ein, dass bei korrekter Rechnung die 5.00 V/m überschritten werden. Der RSO überliest oder vergisst es, er wischt alles unter den Tisch. Er bewilligt einfach, denn Mr. X ist amtlich zu glauben. Der RSO verlangt keine Neurechnung im Garten oder beim höchsten OMEN. Kein Wort davon, dass das alles gefordert wurde! Der Jurist müsste die Hauptargumente zur Kenntnis nehmen und mit seinem juristischen Wissen würdigen, abwägen, gewichten, oder neu beurteilen lassen. Er gewichtet und wägt überhaupt nicht ab, welche Distanz zu nehmen sei, es geht gar nicht um Argumente. Er zitiert einfach die Ansicht von Mr. X, die drei Wochen vor Einreichung der Einsprache der Kindergruppe verfasst wurde – und verschweigt, dass exakt diese Ansicht ja bestritten wurde, und dass mit richtiger Rechnung 5.0072 V/m resultieren.
Gut, dann kann man ja „weiterziehen“, zur nächsten Instanz BVED, die wird’s korrigieren ? Leider ist das kurz vorher in einem gleich klaren Falle bereits gescheitert. Es ging um die „Seitensteuerung“ neuartiger Antennen (vgl. Gigaherz-Beitrag „Schielende Mobilfunkantennen“). Ich war sehr sicher, bei der Baudirektion BVED zu gewinnen, bei dieser klaren Lage: Während Mr. X das Fachurteil abgab „Eine Seitensteuerung ist nicht möglich“, hat das Bundesamt ausnahmsweise schon in einem kantonalen Verfahren bestätigt: Es gibt Seitensteuerung, und sie verletzt das bestehende Bewilligungsverfahren. Das müsste also gut gehen, mit dem Weiterzug ? Nein, die BVED lässt Mr. X nicht im Regen stehen. Urteilsspruch BVED: Vielleicht braucht Sunrise die Seitensteuerung ja gar nicht!? Die Einsprecher haben verloren, obschon sie recht haben, das kostet sie Fr. 5‘224.- für Kanton und Gegen-Juristen. Es wird im Urteilsspruch nicht einmal verboten, die Seitensteuerung einzuschalten, kein Wort, keine Auflage. Die Bewilligung ist erteilt, die Seitensteuerungen (es gab ein zweites Projekt) laufen vielleicht, vielleicht auch nicht. Mit legaler Bewilligung kann auch illegal gesendet werden, wie schon beim löcherigen QSS (Qualitätssicherungsystem).
Die Kinderspielgruppe hat nicht Fr. 5‘224.- übrig, um ganz sicher erneut zu unteriegen – selbst wenn alle Argumente zeigen, dass sie recht hat. Es geht im Kanton Bern nicht um das Recht, sondern die Antennen sollen senden. Das Spiel mit den Rechtsinstanzen hat sich totgelaufen. Wenn eine Amtsstelle ihre Fehler nicht zugeben kann, oder allenfalls zurechtgewiesen wird, hat das alles gar keinen Wert mehr.
Die Kinderspielgruppe hat den RSO gefragt, wie die Messung ablaufe. Der RSO phantasiert und erzählt freihändig Dinge, die sicher nicht stimmen. Im Schloss zu Wangen wird behauptet, die Abnahmemessung seien ganz seriös, und Salt wüsste selber nicht, wann die Messungen stattfinden. Voll daneben! In der Eidg. Messvorschrift steht: „… die Sendeantennen (müssen) während der Abnahmemessungen so ausgerichtet werden, dass ihre Hauptstrahlrichtung mit der kritischen Senderichtung übereinstimmt“. Der Messmann steht in direktem telephonischem Kontakt zur Salt-Zentrale: „Ich bin bei OMEN 3 bereit, stelle die Antenne richtig ein“. Was jetzt genau passiert bezüglich Einstellung der Senderichtung und –leistung, weiss kein Mensch, auch der Messmann nicht. Von Unabhängigkeit der Messung keine Spur!! Der Salt-Operateur kann direkt zum Zeitpunkt der Messung am Computer einstellen, was er will. Es ist das pure Gegenteil der Scheinwelt, an die die Behörden noch glauben, selbst entgegen den Vorschriften.
Der RSO sagt auch noch, die betroffenen Einsprecher in Bützberg müssten sich erkundigen, um die Messresultate zu erfahren. Das widerspricht dem BG-Urteil 1A.148/2002: „Die zuständige Behörde informiert die Öffentlichkeit … über die Ergebnisse der Messungen.“ Die Behörde muss aktiv werden, und die ganze Bevölkerung darf es wissen, nicht nur die Einsprecher. Das ist ein kleiner Unterschied, und schon wieder gegen die Bevölkerung. Jurisprudenz, Jurispotenz – Rechtskunde für die etwas Mächtigeren. Mit Recht hat das alles nichts mehr zu tun.
Ein weiterer Fall, wo alles schief geht: In Langenthal wird eine provisorische Sunrise-Antenne bewilligt, am 4. Juli 2014. Die SBB (Grundbesitzerin) erlaubt sie für höchstens ein Jahr. Sie strahlt vorerst 2 ½ Jahre lang in total falsche Richtungen. Mr. X merkt nichts, das QSS merkt nichts, Sunrise merkt nichts – alle sind blind. Blind sind alle nochmals, wenn die Antenne gar nicht mehr stehen dürfte, aber immer noch steht. Sie würde abgebrochen, wenn im Juni 2017 die Antenne auf dem Ammann-Gebäude in Betrieb sei, meldete Sunrise dem Mr. X. Die Ammann-Antenne strahlt seit Juni 2017, das wurde selbst gemessen, aber die Sunrise-Antenne wird trotzdem nicht abgebrochen. Im September habe ich die Stadt Langenthal gebeten, sie solle das Dossier „Abbruch der provisorischen Antenne“ mir übertragen, auslagern, outsourcen, dann hätten sie nichts mehr damit zu tun, ich sei schneller und mache es gratis. Die Stadt hat nach 6 Wochen schon den Empfang bestätigt und vorweggenommen, ein Outsourcing werde es nicht geben, aber was mit der Antenne selber passiert, steht bis heute (Februar 2018) in den Sternen, rechts hinter dem Orion-Nebel. Man ist eben im Kanton Bern, nume nid gschprängt.
Bild oben: Auf der Stammfirma unseres Bundesrates. Oben sind
normale Antennen, zuunterst ist eine Antenne mit Seitensteuerung. Die
Berner Justiz hofft darauf, die Seitensteuerung sei vielleicht noch
nicht eingeschaltet.
Zur Seitensteuerung geht es hier entlang: https://www.gigaherz.ch/schielende-mobilfunkantennen-und-langsame-berner-behoerden/
Ebenfalls neu, ev. erstmalig: Antenne direkt auf einem vom Denkmalschutz
klassifizierten Gebäude (erhaltenswert). Das ist eigentlich untersagt
(Leitfaden Mobilfunk, Seite 27). Aber gemäss Gutachten der Eidg. Natur-
und Heimatschutzkommission ENHK „erscheint die Antenne nicht als
störendes Element, sondern verliert als Teil der verschiedenen
sichtbaren Infrastrukturen und Elementen an Bedeutung“. Schön gesagt!! Wenn man nur will, geht es schon. Hau ruck, wir arbeiten gut zusammen im Kanton Bern.
Bild links: Eine provisorische Antenne
Die Befestigung sieht provisorisch aus. Nachdem hier 2 ½ Jahre lang kreuzfalsch gesendet wurde, hat man die Abstrahlwinkel korrigiert – aber die Antenne nicht entfernt. Das neu gebaute Nachbarhaus 3M ist nie gerechnet und nie gemessen worden, es ist sicher das Haus mit der höchsten Strahlung. Die neue Ammann-Antenne sollte die Funktion dieser Antenne übernehmen, die dann abgebrochen würde. Jetzt strahlen sie eben beide, welch ein Zufall…
Quelle: https://www.gigaherz.ch/